Rechtsprechung: Rayonverbot bei Fussballspielen (03.05.2016)

Das Verwaltungsgericht St.Gallen hatte sich im Entscheid B 2015/274 vom 24. März 2015 mit folgendem Sachverhalt zu beschäftigen: Nach dem Fussballspiel zwischen dem FC St. Gallen und dem FC Basel vom 15. März 2015 wurden die Fans des FC Basel im Bereich des Gastsektors der AFG-Arena zurückgehalten. Eine kleine Anzahl der Anhänger wollte diese Rückhaltung nicht hinnehmen, überstieg in „sehr aggressiver und geladener Stimmung“ das Gittertor und vermummte sich. X.Y. kam der polizeilichen Aufforderung, sich umgehend zu demaskieren, nicht nach. In der Folge wurde er von der Polizei angehalten und durchsucht, wobei in seiner Jackentasche zwei in der Schweiz verbotene bodenknallende Feuerwerkskörper gefunden wurden. Am 26. März 2015 verfügte die Stadtpolizei St. Gallen gegen X.Y. ein Rayonverbot für die Dauer vom 3. April 2015 bis und mit 30. März 2017. Dabei wurde ihm der Aufenthalt anlässlich von Sportveranstaltungen in der AFG-Arena St. Gallen im Rayon A (West) sowie der Aufenthalt anlässlich von Fussballspielen der ersten Mannschaft des FC Basel in Aarau (Rayon „Stadion Brügglifeld“), Bern (Rayon „Stade de Suisse“), Luzern (Rayon „Bahnhof Luzern“ und Rayon „Swissporarena“), Thun (Rayon „Stockhorn Arena Thun“) und Zürich (Rayon B „Bahnhof Altstetten“, Rayon D „Stadion Letzigrund“ und Rayon E „Hauptbahnhof“) während des Zeitraums von vier Stunden vor bis vier Stunden nach einer Veranstaltung verboten. Auf polizeiliche Empfehlung hin sprach die FC St. Gallen Event AG am 30. März 2015 gegen X.Y. ein gesamtschweizerisches Stadionverbot für die Dauer von zwei Jahren aus. Mit Strafbefehl vom 28. April 2015 verurteilte das Untersuchungsamt St. Gallen X.Y. wegen Vergehens gegen das Sprengstoffgesetz sowie des Verstosses gegen das Vermummungsverbot zu einer bedingten Geldstrafe und einer Busse. Das Sicherheits- und Justizdepartement hiess den von X.Y. gegen die Verfügung der Stadtpolizei St. Gallen erhobenen Rekurs teilweise gut und beschränkte das Rayonverbot für die AFG-Arena ebenfalls auf die Spiele der ersten Mannschaft des FC Basel. X.Y. erhob gegen den Rekursentscheid des Sicherheits- und Justizdepartements Beschwerde beim Verwaltungsgericht.

Der Beschwerdeführer bestreitet den ihm zur Last gelegten Sachverhalt – das Mitführen von pyrotechnischen Gegenständen anlässlich des Fussballspiels zwischen dem FC St. Gallen und dem FC Basel vom 15. März 2015 in der AFG Arena St. Gallen – zu Recht nicht. Er macht mit Blick auf den gegen ihn erlassenen Strafbefehl zu Recht auch nicht geltend, er sei beim Verlassen des Stadions nicht vermummt gewesen. Allerdings hatte sich das Verwaltungsgericht mit der Frage zu beschäftigen, ob das gegen X.Y. verhängte Rayonverbot verfassungsrechtlich haltbar ist. Hierzu zog es folgendes in Erwägung:

Das umstrittene Rayonverbot schränkt die von Art. 10 Abs. 2 BV garantierte Bewegungsfreiheit des Beschwerdeführers ein. Gemäss Art. 36 BV bedürfen Einschränkungen von Grundrechten einer gesetzlichen Grundlage (Abs. 1) und müssen durch ein öffentliches Interesse oder den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt (Abs. 2) und verhältnismässig sein (Abs. 3).

Gemäss Art. 4 Abs. 1 Satz 1 des Konkordats über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen (nachfolgend "Konkordat") kann einer Person, die sich anlässlich von Sportveranstaltungen nachweislich an Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen beteiligt hat, der Aufenthalt in einem genau umschriebenen Gebiet im Umfeld von Sportveranstaltungen (Rayon) zu bestimmten Zeiten verboten werden. Art. 2 Abs. 1 des Konkordats enthält einen nicht abschliessenden Katalog von Delikten, die als “gewalttätiges Verhalten“ und „Gewalttätigkeiten“ im Sinne des Konkordats bezeichnet werden. Ferner gilt gemäss Art. 2 Abs. 2 des Konkordats als „gewalttätiges Verhalten“ die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch das Mitführen oder Verwenden unter anderem von pyrotechnischen Gegenständen an Sportstätten, in deren Umgebung sowie auf dem An- und Rückreiseweg. Der Beschwerdeführer macht zu Recht nicht geltend, dass es sich bei den mitgeführten Gegenständen nicht um pyrotechnische Gegenstände im Sinn von Art. 2 Abs. 2 des Konkordates handelt. Indem er anlässlich des Fussballspiels zwischen dem FC St. Gallen und dem FC Basel vom 15. März 2015 in der AFG Arena St. Gallen pyrotechnische Gegenstände mitführte, hat er den Tatbestand der Gewalttätigkeit im Sinn von Art. 4 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 des Konkordates erfüllt. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer sich innerhalb einer Fangruppe vermummte, welche die vorübergehende Rückhaltung der FC Basel Fans im Gästebereich nicht hinnehmen wollte und deshalb in „sehr aggressiver und geladener Stimmung“ das Gittertor überstiegen hatte, und der polizeilichen Aufforderung, sich zu demaskieren, nicht nachkam. Die Vermummung gehört zu den typischen Merkmalen des Verhaltens von Personen, die anlässlich von Sportveranstaltungen inner- und ausserhalb der Stadien die Konfrontation suchen. Das Verwaltungsgericht folgerte, dass sich die Anordnung des Rayonverbotes i.S.v. Art. 36 Abs. 2 BV auf eine genügende gesetzliche Grundlage stützen lässt. Es betonte schliesslich, dass gemäss Art. 4 Abs. 2 Satz 2 des Konkordats das Verbot Rayons in der ganzen Schweiz umfassen und gemäss Art. 4 Abs. 3 Ingress und lit. a von der zuständigen Behörde im Kanton, in dem die Gewalttätigkeit erfolgte, verfügt werden kann, weshalb auch für Rayonverbot ausserhalb des Kantons St.Gallen eine genügende Rechtsgrundlage besteht. Demnach durfte die Stadtpolizei St. Gallen das Rayonverbot auch für die genannten Rayons ausserhalb des Kantons St. Gallen anordnen.

In Bezug auf die Eingriffsvoraussetzung der Verhältnismässigkeit erwog das Verwaltungsgericht folgendes: Die vorgesehenen konkreten Massnahmen erscheinen – einzig – als notwendige Massnahmen zur Verhinderung künftiger Gewalttaten (vgl. BGE 140 I 2 E. 6.3). Rayonverbote sind geeignet, Personen, von denen Gewalttätigkeiten ausgehen könnten, sowohl vom Umkreis der Stadien als auch von den Bahnhöfen und Örtlichkeiten, welche zur Hin- bzw. Rückfahrt benutzt werden, fernzuhalten. Das Rayonverbot wird für eine Dauer bis zu drei Jahren verfügt und kann Rayons in der ganzen Schweiz umfassen (Art. 4 Abs. 2 Konkordat). Die Anordnung konkreter Massnahmen hängt von der Art und der Schwere des gewalttätigen Verhaltens ab (BGE 137 I 31 E. 6.5). Die vom Konkordat vorgesehene Maximaldauer von drei Jahren erscheint nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung namentlich vor dem Hintergrund, dass Rayonverbote Rayons in der ganzen Schweiz umfassen können, als sehr lang, wobei es aber nicht geradezu ausgeschlossen ist, dass ein dreijähriges Rayonverbot bei einschlägig bekannten Personen notwendig und verhältnismässig sein kann, um der Gewalt bei Sportveranstaltungen wirksam vorzubeugen. Räumlich umfasst das gegenüber dem Beschwerdeführer angeordnete Rayonverbot Gebiete an den Orten von Fussballvereinen, welche – wie die erste Mannschaft des FC Basel – im Zeitpunkt der Verfügung (Saison 2014/2015) am Spielgeschehen in der Raiffeisen Super League teilnahmen. Da das Konkordat in der Fassung vom 2. Februar 2012 zum Zeitpunkt des Vorfalls in den Kantonen Basel-Stadt (FC Basel) und Wallis (FC Sion) sowie im Fürstentum Liechtenstein (FC Vaduz) nicht in Kraft war, konnte das Verbot nur für die Kantone Aargau (FC Aarau), Bern (BSC Young Boys und FC Thun), Luzern (FC Luzern), St. Gallen (FC St. Gallen) und Zürich (FC Zürich und Grasshopper Club Zürich) rechtsgültig ausgesprochen werden. Das Verbot gilt jeweils für jenen Rayon, in welchem die erste Mannschaft des FC Basel aktuell ein Spiel austrägt. Die Ausdehnung auf die Rayons jener Spielstätten, in denen die erste Mannschaft des FC Basel in der obersten Liga der Schweizer Fussballmeisterschaft Spiele austrägt, ist mit Blick darauf, dass der Beschwerdeführer offensichtlich ein grosser FC Basel Fan ist, sachlich gerechtfertigt. Zeitlich bezieht sich das Rayonverbot auf die Dauer von vier Stunden vor Spielbeginn bis vier Stunden nach Spielende. Nach Auffassung des Beschwerdeführers ist diese Sperrzeit zu lang bemessen. Mit der Änderung des Konkordates vom 2. Februar 2012 wurde die mit den vorgesehenen Massnahmen beabsichtigte Prävention in Art. 2 Abs. 1 Ingress auf das Verhalten im Vorfeld und im Nachgang einer Sportveranstaltung ausgeweitet (vgl. BGE 140 I 2 E. 7.1). Es steht ausser Frage, dass ein gewisser Zeitraum von einigen Stunden vor und nach den Spielen abgedeckt werden muss, um das Ziel der Gewaltprävention zu erreichen (vgl. BGE 140 I 2 E. 7.2). In der Literatur wird eine Dauer von mehr als drei Stunden vor bis drei Stunden nach der Veranstaltung als zeitlich unverhältnismässig bezeichnet. Die Stadtpolizei St. Gallen hat zur zeitlichen Verhältnismässigkeit in nachvollziehbarer Weise ausgehend von der Stadionöffnung zwei Stunden vor Spielbeginn und der Tatsache, dass sich die meisten Besucher eine Stunde nach Spielschluss wieder „verzogen“ hätten, dargelegt, die wirksame Prävention verlange darüber hinaus ausreichende zeitliche Puffer. Das polizeiliche Dispositiv werde regelmässig mindestens vier Stunden vor dem Spiel bezogen, und es sei ohne weiteres möglich, dass der Polizeieinsatz erst mehrere Stunden nach dem Spiel beendet werden könne. Die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren empfiehlt denn auch eine Dauer von vier Stunden vor Spielbeginn bis vier Stunden nach Spielende (vgl. Ziffer 2.3.7 der Empfehlungen über die Umsetzung von Massnahmen des Konkordates über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen, Änderung vom 2. Februar 2012). Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung richtet sich an dieser Empfehlung aus (vgl. VerwGE B 2014/138 vom 11. November 2014, www.gerichte.sg.ch, GVP 2014 Nr. 6). Stadtpolizei St. Gallen und Vorinstanz haben sich an diese Empfehlung gehalten und sich im Rahmen des ihnen zustehenden Ermessens bewegt. Das Rayonverbot erweist sich in zeitlicher Hinsicht bezogen auf die Spieltage der ersten Mannschaft des FC Basel dementsprechend als verhältnismässig.

Die Stadtpolizei St. Gallen hat die zweijährige Dauer des Rayonverbots mit der hohen Gefährlichkeit der Verwendung von pyrotechnischem Material in Menschenansammlungen begründet. Der Beschwerdeführer führte beim Verlassen des Gästesektors pyrotechnische Knallkörper mit sich. Zudem vermummte er sich, um einer Identifizierung durch die Polizei zu entgehen. Bereits das Mitführen von in der Schweiz verbotenen bodenknallenden Feuerwerkskörpern, wie sie in der Jackentasche des Beschwerdeführers gefunden wurden, erfüllt den strafrechtlichen Tatbestand gemäss Art. 37 Ziffer 1 des Bundesgesetzes über explosionsgefährliche Stoffe (SprstG) und die Voraussetzungen für die Anordnung eines Rayonverbots i.S.v. Art. 4 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 des Konkordats. Die vom Beschwerdeführer mitgeführten pyrotechnischen Gegenstände gehören zur Kategorie „bodenknallende Feuerwerke“, deren Einfuhr in die Schweiz aufgrund ihrer Gefährlichkeit einer Bewilligung bedarf. Trägt eine Person unter den vorliegend gegebenen konkreten Umständen solche Knallkörper auf sich, ist davon auszugehen, dass damit die Absicht verbunden ist, sie gegebenenfalls auch zu zünden. Dass der Beschwerdeführer dies am 15. März 2015 nicht tat, ändert deshalb nichts daran, dass es sich um ein Verhalten handelte, welchem mittels Rayonverbots präventiv entgegen gewirkt werden soll. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer sich vermummt hat. Die Vermummung kann im konkreten Zusammenhang nicht anders denn als Mittel gewertet werden, die strafrechtliche Verfolgung des Verhaltens zu erschweren. Davon musste der Beschwerdeführer umso mehr ausgehen, als er sich bereits am 1. Mai 2010 in Basel vermummt an einem Demonstrationszug von mindestens hundert Personen beteiligte hatte, bei dem es nebst verschiedenen Sachbeschädigungen auch zu einem Brandanschlag auf einen Polizeiposten kam, und er deswegen am 27. Januar 2015 auch strafrechtlich belangt worden war. Zusammenfassend ist ein zweijähriges Rayonverbot sowohl geeignet, als mit Blick auf den generalpräventiven Zweck der Massnahme auch verhältnismässig, um Gewalttaten zu Gunsten einer friedlichen Durchführung von Sportgrossanlässen in Zukunft zu verhindern.

Deshalb stellte das Verwaltungsgericht fest, dass das gegen den Beschwerdeführer verhängte Rayonverbot mit Art. 36 BV vereinbar ist (hiess die Beschwerde allerdings in Bezug auf den vorinstanzlichen Kostenspruch gut).